Sonntag, 26. Februar 2012

Thema Präsenz: Menschen sind verschieden!




Sagen Sie jetzt nichts
Extrovertierte, heißt es, sind erfolgreicher, kreativer und sozialkompatibler als ihre stilleren Mitmenschen. Aber stimmt das denn auch?
von Petra Steinberger

Vor ein paar Tagen saßen sie in der Werkstatt, um Mainz singt und lacht zu entkommen. Es waren ernsthafte Ingenieure, und was sie noch mehr störte als das bunte Getöse, war die Tatsache, dass 'diese amerikanischen Ingenieure reden, als hätten sie die Welt erfunden. Und nix können'. Da klang ein wenig Neid mit bei den braven deutschen Ingenieuren, bei denen eloquentes Reden weder populär ist noch ausgiebig praktiziert wird.

Sollte es? Gruppendenken und Geselligkeit, das sollten wir eigentlich schätzen - wenigstens, wenn es nicht die zwangsverordnete Faschingsfröhlichkeit ist. Wird uns doch seit Jahrzehnten immer wieder erklärt, dass das Team, die Gruppe, die kommunikative Gemeinschaft der menschlichen Kreativität am ehesten entgegenkomme - und dass diese Zusammenarbeit auch noch Innovationen, neue Ideen und damit den menschlichen Fortschritt befördere.

Und wir kennen sie alle, die begnadeten Redner, denen der Witz in die Wiege gelegt wurde, die ihre Fans um sich scharen und begeistern können, bei denen jeder Satz eine Pointe hat und jede Idee tatsächlich die Welt neu zu erfinden scheint. Sie sind die geborenen Anführer. Sie sind erfolgreich, sozial wie professionell. Gesprächige Menschen werden für klüger gehalten, man hält sie für besser aussehend und insgesamt interessanter. Selbst die Sprechgeschwindigkeit spielt eine Rolle. Ein schneller Redner gilt uns als kompetenter und sympathischer.

Wer hingegen die Einsamkeit vorzieht, wer leiser spricht und gern allein ist, der, glaubt man den meisten konventionellen Management-Lehrbüchern, passt nicht ins System. Denn da das Team zum Ideal erklärt worden ist, muss, wer im Team arbeiten will, auch teamfähig werden. Er muss nicht nur Ideen haben, sondern sie perfekt kommunizieren können. Er muss den Vertreter in sich entdecken. Man nennt es: das Ideal der Extraversion.

Das Ideal des gesprächigen Aus-sich-Herausgehens ist wesentlich im letzten Jahrhundert der Moderne und des Business entstanden. Doch spätestens im Gefolge des Aufstiegs der sozialen Medien muss sich wirklich jeder in einen genialen Selbstdarsteller wandeln, muss seinen inneren Einstein (auch der war ja ein berühmter Introvertierter) vergessen, um überhaupt sichtbar zu bleiben.

Doch ist bis heute nicht jeder Ingenieur zum geborenen Verkäufer seiner selbst mutiert. Und so verbringen Personal Trainer und Coaches viel Zeit und verdienen viel Geld damit, auch den letzten Stillen die Techniken des gewandten Auftretens vor Publikum beizubringen. Denn, hat einmal ein leitender US-Manager erklärt, es reiche nicht aus, 'am Computer eine großartige statistische Regressionsanalyse durchführen zu können, wenn man zu zaghaft ist, die Ergebnisse vor einem Team von Führungskräften zu präsentieren.'

Immerhin: Langsam regt sich der Widerstand gegen die seit hundert Jahren gesellschaftlich verordnete Konvention des Geplappers und der Selbstdarstellung. 2003 veröffentlichte der amerikanische Autor Jonathan Rauch im Atlantic Monthly einen Essay mit dem Titel 'Caring for Your Introvert', in dem er sich gleich selbst als solchen outete. Die Reaktionen der Leser waren überwältigend - noch Jahre später war es dieser Artikel, der am häufigsten von den Online-Seiten des Magazins abgerufen wurde. Gesellschafts- und Businesskolumnen in amerikanischen Zeitungen stellen zunehmend diese so uramerikanische Qualität in Frage. Und nun hat die bekennend introvertierte Harvard-Absolventin und Verhandlungstrainerin Susan Cain eine weitere Bresche für die Scheuen geschlagen. Ihrem Buch 'Quiet' (auf Deutsch unter dem Titel 'Still. Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt' im Riemann Verlag erschienen), werde sicher Ähnliches widerfahren wie Rauchs Essay, jubelte ein Rezensent im traditionell nicht so outgoing England.

Susan Cain postuliert, dass das Alleinsein ausschlaggebend sei für wahre Kreativität. Für viele ist die innere Zurückgezogenheit unbedingt notwendig, um sich überhaupt erst einmal inspirieren zu lassen. Und in der Wissenschaft wächst die Einsicht, dass Extroversion allein keinesfalls Erfolg garantiert. Im Gegenteil: Extrovertierte Chefs sind nicht unbedingt die effizienteren. Für eine Studie wurden dazu die Geschäftsführer von 128 größeren amerikanischen Firmen unter die Lupe genommen. Es stellte sich heraus, dass die charismatischen, extrovertierten Chefs zwar größere Gehälter bezogen - aber keineswegs die besseren Ergebnisse erwirtschafteten. Schon ärgerlich.

Diese Erkenntnis deckt sich mit den Ergebnissen einer anderen, inzwischen berühmten Management-Studie. Die hatte festgestellt, dass viele der erfolgreichsten Unternehmen von Chefs geführt wurden, die für ihre Bescheidenheit, gepaart mit großer Willenskraft bekannt waren. Was Peter Drucker, den berühmtesten aller Management-Gurus, kaum überrascht haben dürfte. Das einzige Persönlichkeitsmerkmal, schrieb er einmal, das wirklich effiziente Leute gemeinsam hätten, sei eines, das ihnen fehle: 'Sie hatten wenig oder kein ,Charisma".' Wir denken an Bill Gates - auch wenn man seine Nemesis, den Über-Charismatiker Steve Jobs, nicht übersehen kann. Dem wiederum verhalf aber der extrem scheue Tüftler Steve Wozniak zum Apple-Erfolg.

Ja aber, wenden Teamarbeiter ein, doch selbst das von ihnen gefeierte 'Brainstorming' gehört zu den schlechtesten denkbaren Wegen, Kreativität zu stimulieren. Ein Einzelner, in Ruhe gelassen, hat mehr und bessere Ideen als die Gruppe, und deren Ergebnisse werden noch dazu umso schlechter, je größer sie wird. Der Organisationspsychologe Adrian Furnham meint sogar, Geschäftsleute müssten geradezu wahnsinnig sein, solche Brainstorming-Gruppen überhaupt noch einzusetzen. Nimmt man dazu die Großraumbüros, welche Bluthochdruck und Streitereien fördern; endlose Konferenzen, die wenig Neues bringen: Nun, eigentlich müssten sich die kommunikativen, teamarbeitenden Extrovertierten längst fragen, ob es wirklich nur ihr Weg sein kann, der zum Erfolg führt (denn das tut er fraglos ab und zu). Und ob es denn nicht langsam zu Ende gehe mit dem Jahrhundert der Jahrmarktschreier.

Susan Cain dämpft die Erfolgsaussichten für den raschen Sieg der Stillen dann doch. Die Introvertierten haben die Extrovertierten zwar längst verstanden - Verstehen und Zuhören sind ja Grundbestand ihres Persönlichkeitsbildes. Andersherum ist Einsicht eher schwierig. Und immer noch sind vor allem 'Teamfähigkeit' und 'Gruppendenken' die Leitmotive an den Schulen und Universitäten, und in denen sitzen heute die Kinder unserer braven Ingenieure. Der Umsturz der Tüftler wird also noch ein, zwei Generationen dauern. Er wird bedächtig geplant, irgendwo in einer Werkstatt zwischen den wirklich wichtigen Dingen.




Aus:
Süddeutsche Zeitung, 25.2.2012

Hervorhebungen durch A.Weiß



Quelle: Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 25. Februar 2012, Seite 70

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